Ernährungssicherung, Klimawandel, Schutz von Umwelt und Biodiversität bei gleichzeitiger Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit: Deutschland und Europa sowie deren Landwirtschaft stehen vor großen Herausforderungen. Diese lassen sich nicht ohne geeignete innovative Instrumente des Pflanzenbaus und der Pflanzenzüchtung bewältigen. Die neuen genomischen Techniken (NGT), zu denen als bekannteste die „Genschere CRISPR/Cas” gehört, können dabei helfen, diese Aufgaben anzugehen.
Doch mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus 2018 auf Grundlage des veralteten EU-Gentechnikrechts wurden Produkte aus diesen Techniken generell als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eingestuft. Diese Entscheidung macht die Anwendung von NGT in der EU und in Deutschland praktisch unmöglich und steht deren verantwortungsvoller Nutzung für eine nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung im Sinne des European Green Deal im Weg.
Große Teile der Agrar- und Ernährungswirtschaft haben wiederholt darauf hingewiesen, dass diese Einstufung dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand widerspricht. Es bestehen große methodische und molekulare Unterschiede zwischen GVO, die durch Übertragung artfremder Gene erzeugt wurden und Pflanzen, die durch Punktmutationen mittels NGT entstanden sind. Letztere Veränderungen sind von natürlichen Mutationen nicht zu unterscheiden. Das EU-Gentechnikrecht definiert GVO über die Einbringung artfremder Gene in einen Pflanzenorganismus, schließt aber auch die NGT mit ein, die ohne artfremdes genetisches Material auskommen. Die so gezüchteten Pflanzenmerkmale könnten auch in der Natur ohne menschlichen Eingriff entstehen. [1]
Die unterzeichnenden Verbände begrüßen daher die Initiative der Europäischen Kommission, hierzu einen zeitgemäßen Rechtsrahmen schaffen zu wollen. Dabei sollte von Beginn an eine Harmonisierung mit den rechtlichen Gegebenheiten von Drittstaaten angestrebt werden. Denn unterschiedliche regulatorische Vorgaben weltweit führen zu Handelshemmnissen und erschweren es der europäischen Landwirtschaft, den gesellschaftlich und politisch angestrebten Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit, wie in der Farm-to-Fork-Strategie formuliert, fortzusetzen. Eine künftige EU-Regulierung muss sich an den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren und gleichzeitig die ökologischen und ökonomischen Potenziale dieser Methoden berücksichtigen.
Die NGT bieten Chancen, dem Klimawandel zu begegnen sowie die Nachhaltigkeit und die Biodiversität in der Landwirtschaft zu fördern:
Hiermit wird auch die Chance für eine nachhaltigere Landbewirtschaftung und einen effizienteren Einsatz von Dünge- sowie Pflanzenschutzmitteln gemäß der Farm-to-Fork-Strategie eröffnet. Beides wird von der Gesellschaft mehrheitlich vorausgesetzt. Je früher die neuen Methoden zum Einsatz kommen, desto schneller kann ihr Potenzial genutzt werden. Ob Innovationen aus NGT in der Landwirtschaft ankommen, hängt maßgeblich mit der Frage zusammen, wie der Zugang zu diesen vor dem Hintergrund bestehender Schutzrechte geregelt wird. Diese Frage soll unter Einbeziehung aller Beteiligten breit diskutiert werden.
Konsequenzen für die Versorgungslage, Wissenschaft und Wirtschaft im Falle der Nicht-Anpassung des veralteten EU-Gentechnikrechts müssen bedacht werden:
Die Sicherheit von NGT für Mensch, Natur und Umwelt muss auf wissenschaftlicher Faktenbasis bewertet werden:
Im Zusammenhang mit der Frage der künftigen Regulierung der NGT sehen wir einen eindeutigen Aufklärungs- und Kommunikationsbedarf. Während die Mehrheit der Deutschen klassische Gentechnik mit Einbringung von artfremden Genen ablehnt, zeigt eine repräsentative Umfrage der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, dass die meisten Verbraucher/innen die NGT ohne eine solche Einbringung als ein eigenständiges Verfahren anerkennen und diesem deutlich weniger kritisch gegenüberstehen. Auch steigt die Akzeptanz von Erzeugnissen aus NGT, wenn Vorteile für eigene Gesundheit, Chancen für die Entwicklung klimaangepasster Pflanzen sowie für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft dank der Einsparung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln gesehen werden.
Aus den genannten Gründen wiederholen die unterzeichnenden Verbände ihre Forderung, dass das europäische Gentechnikrecht zeitnah an den wissenschaftlichen Erkenntnisstand angepasst wird und auch für zukünftige Entwicklungen offen sein muss. Wir fordern die Bundesregierung der 20. Legislaturperiode auf, diesen Prozess auf EU-Ebene gemeinsam mit den europäischen Partnern zu unterstützen und einen wissenschaftsbasierten und vorurteilsfreien politischen und gesellschaftlichen Diskurs, auch unter Berücksichtigung der Empfehlung der "Zukunftskommission Landwirtschaft" (ZKL), über die Anwendung der NGT zu unterstützen. Wir begleiten den Prozess der Aktualisierung des EU-Gentechnikrechts als Veranstalter der digitalen Eventreihe „Dialog Genome Editing”. [8]
[1] Dies hat das Europäische Netz der GVO-Laboratorien (The European Network of GMO Laboratories/ENGL) in seinem Bericht „Detection of food and feed plant products obtained by new mutagenesis techniques” aus dem Jahr 2019 belegt.
[2] Julius Kühn-Institut, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2020): 2. Aktualisierung der Übersicht über Nutz- und Zierpflanzen, die mittels neuer molekular-biologischer Techniken für die Bereiche Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau erzeugt wurden – marktorientierte Anwendungen (Version 20.03.2020). Online verfügbar unter: https://bit.ly/2ZUpHey
[3] https://pilton.bdp-online.de/
[4] Dies hat das Europäische Netz der GVO-Laboratorien (The European Network of GMO Laboratories/ENGL) in seiner Stellungnahme „Evaluation of the scientific publication „A Real-Time Quantitative PCR Method Specific for Detection and Quantification of the First Commercialized Genome-Edited Plant”” aus 2020 zu vermeintlichen Identifizierungsverfahren belegt (https://bit.ly/3jHjvgE). Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zweifelt in seiner Stellungnahme aus 2020 eine vermeintliche generelle Eignung der im September 2020 vorgestellten Methode an, NGT nachweisen zu können (https://bit.ly/3nWZzHR).
[5] Henning, Christian et al. (2021): „Ökonomische und Ökologische Auswirkungen des Green Deals in der Agrarwirtschaft. Eine Simulationstudie der Effekte der F2F-Strategie auf Produktion, Handel, Einkommen und Umwelt mit dem CAPRI-Modell”. Online abrufbar unter: https://bit.ly/3BOXr9X
[6] Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (2019): „Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU”. Online abrufbar unter: http://bit.ly/3jPiYKk
[7] EFSA (2020): „Applicability of the EFSA Opinion on site-directed nucleasestype 3 for the safety assessment of plants developed usingsite-directed nucleases type 1 and 2 and oligonucleotide-directed mutagenesis”. In: EFSA Journal 2020;18(11):6299. Online abrufbar unter: https://bit.ly/3nzuf1D