Positionspapier
30.11.2021

Positionspapier der Verbände zu der künftigen Regulierung der neuen genomischen Techniken

Ernährungssicherung, Klimawandel, Schutz von Umwelt und Biodiversität bei gleichzeitiger Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit: Deutschland und Europa sowie deren Landwirtschaft stehen vor großen Herausforderungen. Diese lassen sich nicht ohne geeignete innovative Instrumente des Pflanzenbaus und der Pflanzenzüchtung bewältigen. Die neuen genomischen Techniken (NGT), zu denen als bekannteste die „Genschere CRISPR/Cas”  gehört, können dabei helfen, diese Aufgaben anzugehen. 

Doch mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus 2018 auf Grundlage des veralteten EU-Gentechnikrechts wurden Produkte aus diesen Techniken generell als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eingestuft. Diese Entscheidung macht die Anwendung von NGT in der EU und in Deutschland praktisch unmöglich und steht deren verantwortungsvoller Nutzung für eine nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung im Sinne des European Green Deal im Weg.

Große Teile der Agrar- und Ernährungswirtschaft haben wiederholt darauf hingewiesen, dass diese Einstufung dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand widerspricht. Es bestehen große methodische und molekulare Unterschiede zwischen GVO, die durch Übertragung artfremder Gene erzeugt wurden und Pflanzen, die durch Punktmutationen mittels NGT entstanden sind. Letztere Veränderungen sind von natürlichen Mutationen nicht zu unterscheiden. Das EU-Gentechnikrecht definiert GVO über die Einbringung artfremder Gene in einen Pflanzenorganismus, schließt aber auch die NGT mit ein, die ohne artfremdes genetisches Material auskommen. Die so gezüchteten Pflanzenmerkmale könnten auch in der Natur ohne menschlichen Eingriff entstehen. [1]

Die unterzeichnenden Verbände begrüßen daher die Initiative der Europäischen Kommission, hierzu einen zeitgemäßen Rechtsrahmen schaffen zu wollen. Dabei sollte von Beginn an eine Harmonisierung mit den rechtlichen Gegebenheiten von Drittstaaten angestrebt werden. Denn unterschiedliche regulatorische Vorgaben weltweit führen zu Handelshemmnissen und erschweren es der europäischen Landwirtschaft, den gesellschaftlich und politisch angestrebten Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit, wie in der Farm-to-Fork-Strategie formuliert, fortzusetzen. Eine künftige EU-Regulierung muss sich an den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren und gleichzeitig die ökologischen und ökonomischen Potenziale dieser Methoden berücksichtigen.

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Die NGT bieten Chancen, dem Klimawandel zu begegnen sowie die Nachhaltigkeit und die Biodiversität in der Landwirtschaft zu fördern:

  • Um Ernteausfälle infolge des Klimawandels zu minimieren und Agrarsysteme weniger anfällig gegen immer stärker wechselnde Anbaubedingungen zu machen, müssen Nutz- und Zierpflanzen sowie Gehölze widerstandsfähiger gegen Wassermangel/Überschwemmungen, Versalzung, Hitze/Kälte, Krankheiten und Schädlinge sein. Darüber hinaus sollen sie eine verbesserte Nährstoffeffizienz aufweisen. Diese Herausforderungen lassen sich nur unter Einsatz von Innovationen, auch in der Pflanzenzüchtung, bewältigen, denn die Züchtung einer neuen angepassten Sorte mit herkömmlichen Verfahren dauert heutzutage zehn bis 15 Jahre. Die NGT können diesen Prozess spürbar verkürzen und die Kosten deutlich senken. 

Hiermit wird auch die Chance für eine nachhaltigere Landbewirtschaftung und einen effizienteren Einsatz von Dünge- sowie Pflanzenschutzmitteln gemäß der Farm-to-Fork-Strategie eröffnet. Beides wird von der Gesellschaft mehrheitlich vorausgesetzt. Je früher die neuen Methoden zum Einsatz kommen, desto schneller kann ihr Potenzial genutzt werden. Ob Innovationen aus NGT in der Landwirtschaft ankommen, hängt maßgeblich mit der Frage zusammen, wie der Zugang zu diesen vor dem Hintergrund bestehender Schutzrechte geregelt wird. Diese Frage soll unter Einbeziehung aller Beteiligten breit diskutiert werden.

  • Darüber hinaus können NGT die bestehende natürliche genetische Vielfalt erweitern und diese Variation für eine noch größere Sortenvielfalt bereitstellen.
  • Die NGT bieten außerdem die Möglichkeit, Sorten für ein besseres Angebot an nachwachsenden pflanzlichen Rohstoffen und damit biobasierten Ressourcen für die industrielle Produktion im Rahmen einer Bioökonomie bereitzustellen. Dies unterstützt den Wandel von einer weitgehend auf fossilen Rohstoffen basierenden Wirtschaft zu einer stärker auf erneuerbaren Rohstoffen beruhenden Wirtschaft. Damit kann ein Beitrag zu den UN-Nachhaltigkeitszielen geleistet werden.
  • Weltweit gibt es bereits ein Fülle von marktorientierten Anwendungen von Nutz- und  Zierpflanzen mit neuen verbesserten Eigenschaften, die mittels NGT für die Bereiche Landwirtschaft, Ernährung sowie Gartenbau erzeugt wurden [2]. Auch hierzulande haben sich 55 deutsche Unternehmen der Pflanzenzüchtung in einem gemeinsamen Forschungsprojekt PILTON (Pilztoleranz von Weizen mittels neuer Züchtungsmethoden) [3] zusammengeschlossen. Hierin sollen Weizenpflanzen mit verbesserter, multipler und dauerhafter Pilztoleranz durch NGT entwickelt und deren Potenzial zur Einsparung von Pflanzenschutzmitteln ermittelt werden.

Konsequenzen für die Versorgungslage, Wissenschaft und Wirtschaft im Falle der Nicht-Anpassung des veralteten EU-Gentechnikrechts müssen bedacht werden:

  • Aus vorgenannten Gründen haben viele Drittländer und darunter wichtige Handelspartner der EU ihre Gesetzgebung dahingehend angepasst, dass Pflanzen aus NGT, sofern keine Fremd-DNA eingeführt wird, nicht als GVO reguliert werden und damit schneller Eingang in die landwirtschaftliche Praxis finden. Damit folgen diese Länder der wissenschaftlichen Faktenlage. Insbesondere im Handel und in der Logistik mit Massenschüttgütern (Commodity-Handel) wie Weizen, Raps, Mais und Soja wird die Ware vieler Anbaufelder bereits in den Ursprungsländern vermengt. Deshalb ist schon heute nicht nachvollziehbar, bei welchen Produkten in und aus Drittstaaten die NGT zum Einsatz gekommen sind. Damit die internationalen Handelsströme weiterhin funktionieren, die europäischen Versorgungsmärkte nicht gefährdet und übermäßige Preissteigerungen für Agrarprodukte in der EU vermieden werden, müssen die Bestimmungen zu agrarischen Rohstoffen verschiedener Weltregionen miteinander kompatibel sein. Doch weder Handel noch Überwachungsbehörden können den Forderungen einer Nulltoleranz aus dem geltenden Gentechnikrecht nachkommen, weil eine rechtssichere Identifizierung des Ursprungs einer Veränderung nicht möglich ist [4] und die skizzierte Commodity-Logistik eine Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung per se ausschließt. 
  • Mehrere Studien, darunter auch die Folgenabschätzung der Universität Kiel [5] belegen, dass die Maßnahmenvorschläge der EU-Kommission in der Farm-to-Forksowie der Biodiversitätsstrategie des European Green Deal bei vollständiger Umsetzung zu einem erheblichen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion in der EU führen werden. Dadurch wird die EU bei vielen Agrarprodukten von einem Netto-Exporteur zu einem Netto-Importeur. Der Selbstversorgungsgrad wird reduziert und das, obwohl das Gebiet der EU exzellente Bedingungen für eine qualitativ und quantitativ hochwertige Nahrungsmittelproduktion bietet. Es ist daher unumgänglich, die Effizienz im Pflanzenbau zu steigern, auch mit Hilfe von NGT.
  • Unangemessen hohe und wissenschaftlich nicht begründete regulatorische Auflagen für die Anwendung von NGT dürfen nicht dazu führen, dass qualifizierte Wissenschaftler/innen weiterhin in Länder abwandern, in denen sie bessere Bedingungen für die Entwicklung und Nutzung dieser Verfahren vorfinden. Deutschland und die EU würden sich so weiter von der internationalen Entwicklung abkoppeln. Die Wettbewerbsfähigkeit der (Agrar-)Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorte Deutschland und der EU muss durch eine angemessene Rechtsgrundlage gestärkt werden. Diese sollte die wissenschaftliche Expertise unabhängiger Fachorganisationen wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina berücksichtigen.

Die Sicherheit von NGT für Mensch, Natur und Umwelt muss auf wissenschaftlicher Faktenbasis bewertet werden:

  • Die unterzeichnenden Verbände setzen bei der Frage der Risikobewertung auf die Expertise unabhängiger deutscher und europäischer wissenschaftlicher Einrichtungen. So folgen wir der Empfehlung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, wonach verantwortungsvoller Umgang mit technologie-bedingten Entwicklungen bedeute, die positiven und negativen Effekte gegeneinander abzuwägen und zu beobachten, um ggf. steuernd einzugreifen. Die Anwendung des Vorsorgeprinzips dürfe dabei nicht an spekulative Risiken anknüpfen. Vielmehr sei das Vorsorgeprinzip wissenschaftsbasiert anzuwenden. [6]
  • Die aktuelle wissenschaftliche Lage in Bezug auf die Risikobewertung von NGT ohne Einbringung von artfremden Genen ist eindeutig. Laut EFSA wurden im Vergleich zu konventioneller Züchtung keine neuen Gefahren aufgrund genomischer Veränderungen durch die NGT identifiziert. [7]

Im Zusammenhang mit der Frage der künftigen Regulierung der NGT sehen wir einen eindeutigen Aufklärungs- und Kommunikationsbedarf. Während die Mehrheit der Deutschen klassische Gentechnik mit Einbringung von artfremden Genen ablehnt, zeigt eine repräsentative Umfrage der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, dass die meisten Verbraucher/innen die NGT ohne eine solche Einbringung als ein eigenständiges Verfahren anerkennen und diesem deutlich weniger kritisch gegenüberstehen. Auch steigt die Akzeptanz von Erzeugnissen aus NGT, wenn Vorteile für eigene Gesundheit, Chancen für die Entwicklung klimaangepasster Pflanzen sowie für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft dank der Einsparung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln gesehen werden.

Aus den genannten Gründen wiederholen die unterzeichnenden Verbände ihre Forderung, dass das europäische Gentechnikrecht zeitnah an den wissenschaftlichen Erkenntnisstand angepasst wird und auch für zukünftige Entwicklungen offen sein muss. Wir fordern die  Bundesregierung der 20. Legislaturperiode auf, diesen Prozess auf EU-Ebene gemeinsam mit den europäischen Partnern zu unterstützen und einen wissenschaftsbasierten und vorurteilsfreien politischen und gesellschaftlichen Diskurs, auch unter Berücksichtigung der Empfehlung der "Zukunftskommission Landwirtschaft" (ZKL), über die Anwendung der NGT zu unterstützen. Wir begleiten den Prozess der Aktualisierung des EU-Gentechnikrechts als Veranstalter der digitalen Eventreihe „Dialog Genome Editing”. [8]


[1] Dies hat das Europäische Netz der GVO-Laboratorien (The European Network of GMO Laboratories/ENGL) in seinem Bericht „Detection of food and feed plant products obtained by new mutagenesis techniques” aus dem Jahr 2019 belegt.

[2] Julius Kühn-Institut, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2020): 2. Aktualisierung der Übersicht über Nutz- und Zierpflanzen, die mittels neuer molekular-biologischer Techniken für die Bereiche Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau erzeugt wurden – marktorientierte Anwendungen (Version 20.03.2020). Online verfügbar unter: https://bit.ly/2ZUpHey

[3] https://pilton.bdp-online.de/

[4] Dies hat das Europäische Netz der GVO-Laboratorien (The European Network of GMO Laboratories/ENGL) in seiner Stellungnahme „Evaluation of the scientific publication „A Real-Time Quantitative PCR Method Specific for Detection and Quantification of the First Commercialized Genome-Edited Plant”” aus 2020 zu vermeintlichen Identifizierungsverfahren belegt (https://bit.ly/3jHjvgE). Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zweifelt in seiner Stellungnahme aus 2020 eine vermeintliche generelle Eignung der im September 2020 vorgestellten Methode an, NGT nachweisen zu können (https://bit.ly/3nWZzHR).

[5] Henning, Christian et al. (2021): „Ökonomische und Ökologische Auswirkungen des Green Deals in der Agrarwirtschaft. Eine Simulationstudie der Effekte der F2F-Strategie auf Produktion, Handel, Einkommen und Umwelt mit dem CAPRI-Modell”. Online abrufbar unter: https://bit.ly/3BOXr9X

[6] Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (2019): „Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU”. Online abrufbar unter: http://bit.ly/3jPiYKk

[7] EFSA (2020): „Applicability of the EFSA Opinion on site-directed nucleasestype 3 for the safety assessment of plants developed usingsite-directed nucleases type 1 and 2 and oligonucleotide-directed mutagenesis”. In: EFSA Journal 2020;18(11):6299. Online abrufbar unter: https://bit.ly/3nzuf1D

[8] https://bit.ly/3bI6jUd