Herr Striewe, Sie sind Geschäftsführer bei BAT Agrar, einem großen privaten Agrarhandelsunternehmen, und verantworten dort den Getreide handel. Welche Auswirkungen hat die F2F-Strategie für die Getreidebranche?
Die Auswirkungen sind signifikant. Alle vorliegenden Studien gehen von einem spürbaren Produktionsrückgang und einer deutlichen Preissteigerung aus. Zudem wird die EU kein Getreide mehr exportieren und sich selbst versorgen können, sondern wird auf Importe an gewiesen sein. Das wäre für die Agrarmärkte und die Länder, die auf Importe angewiesen sind, eine dramatische Entwicklung.
Wie kommen Sie zu dieser Prognose?
Unser Unternehmen engagiert sich im Verband DER AGRARHANDEL, der wie derum Teil der Verbändeallianz Grain Club ist. Uns hat interessiert, was die F2F-Strategie für unsere Branche bedeutet. Der Grain Club hat deshalb eine Simulationsstudie der Effekte der F2F-Strategie auf Produktion, Handel, Einkommen und Umwelt am Institut für Agrarökonomie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in Auftrag gegeben. Dabei werden die unter schiedlichen Maßnahmen analysiert, darunter die Reduktion des mineralischen Düngereinsatzes um 20%, die Reduktion des Pflanzenschutzmittel Einsatzes um 50%, Reduktion der N Bilanz-Überschüsse um 50%, Anteil ökologischer Vorrangflächen von min destens 10% und Anteil des ökologischen Landbaus von mindestens 25%. Dann ergeben sich diese Effekte.
Welche Effekte zeigt die Studie konkret?
Leider müssen wir mit einem Rückgang der Getreideproduktion in der EU um über 20% rechnen. Dann fehlen 50 bis 60 Mio. Tonnen Getreide. Selbst wenn dann der Verbrauch in der EU aufgrund der rückläufigen Produktion von Fleisch und Milch sinken würde, könnte sich die EU nicht mehr selbst versorgen. Viele Beobachter glaubten bisher, die Schwarzmeerregion könne diese Lücke füllen. Diese Analyse war auch vor dem unsäglichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine schon falsch, denn die Preise hatten schon vor Ausbruch des Krieges im November 2021 ein Allzeit hoch erreicht. Wir gehen deshalb da von aus, dass es kurz- bis mittelfristig keinen Ersatz gibt für das Getreide, das in der EU aufgrund der Maßnahmen der F2F-Strategie fehlen wird. Was mit den Weltmarktpreisen passieren kann, wenn sich die EU als einer der großen Exporteure vom Weltmarkt verabschiedet und vielleicht sogar Getreide importieren wird, möchte ich mir nicht vorstellen.
Was erwarten Sie von der Politik?
Die Politik muss endlich den Zielkonflikt benennen, in dem wir uns befin den. Klima-, Gewässer- und Artenschutz sind Kernaufgaben der EU und der gesamten Menschheit, ohne deren Umsetzung wir auf der Erde nicht mit zehn Milliarden Menschen leben können. Aber wir können und dürfen die Ernährungssicherung der Erreichung dieser Ziele nicht unterordnen. Denn auch ohne ausreichend Nahrung werden wir nicht überleben. Aufgabe der Politik wäre es deshalb, zu benennen, wie wir wirtschaftlich und klimafreundlich hochwertige und bezahlbare Lebensmittel in ausreichender Menge produzieren können. Dabei müssen wir doch zuallererst vom Verbraucher ausgehen, denn der bestimmt mit sei nem Verhalten die Art der Nahrungs mittel, die nachgefragt werden, die Menge und deren Produktionsweise.
Warum schätzen Sie die Rolle des Ver brauchers so hoch ein?
Der Verbraucher hat durch sein Kaufverhalten den zentralen Einfluss. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass der Verbraucher den Einfluss seines Warenkorbs auf zum Beispiel die Treibhausgasemis sionen oder Artenvielfalt nicht überblicken kann. Deshalb benötigt er wissenschaftlich fundierte, aber zugleich einfach kommunizierbare Angaben über die Nahrungsmittel. Aus den vielen Studien wissen wir, dass wir eine Intensivierung der Nahrungsmittelproduktion an den Gunststandorten brauchen und nicht eine flächendeckende Extensivierung. Das schafft Freiräume, um ökologisch sehr wertvolle Flächen dem Naturschutz zuzuführen.
Ist die Strategie denn unterm Strich klimawirksam?
Für die Treibhausgasemissionen hat die Studie gezeigt, dass der Nettoeffekt auf die globale Bilanz gegen null tendiert. Die Emissionen würden in der EU zwar zurückgehen. Allerdings wür de der Flächenbedarf enorm ansteigen, wir müssten dann Wälder abholzen. Und wenn wir dann die Steigerung von Produktionsemissionen außerhalb der EU dazurechnen, werden die Einsparungen davon komplett aufgezehrt. Für andere Ökosystemleistungen sind die Auswirkungen deutlich besser.
Was fordern Sie für eine bessere Strategie?
Erstens, der Zielkonflikt muss adressiert werden. Klima-, Arten- und Gewässerschutz sind wichtig, die Ernährungssicherung aber auch. Zweitens, die Produktionsverlagerung muss unterbunden werden.
Die EU muss beiden Produkten, bei denen sie einen ökonomischen und ökologischen Vorteil hat, weiterhin Exporteur bleiben.
Drittens, die Lebensmittelproduktion in der EU muss wettbewerbsfähig bleiben. Dazu brauchen die Landwirte Zugang zu den gleichen Technologien wie ihre Berufskolleginnen und -kollegen in anderen Teilen der Welt. Deshalb fordern so viele renommierte Forscher eine Intensivierung der Produktion auf den Gunststandorten und den Zugang zu allen Technologien, insbesondere den neuen Züchtungsmethoden und dem Pflanzenschutz. Nur so bekommen wir den Freiraum für Naturschutz flächen.
Die EU muss bei den Produkten, bei denen sie einen ökonomischen und ökologischen Vorteil hat, weiterhin Exporteur bleiben.
Lesen Sie die 9. Ausgabe des Trendbriefes Agrarwirtschaft.