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22.04.2024

Landwirtschaft zukunftsfähig machen: Anwendung von neuen genomischen Techniken in Europa zeitnah ermöglichen

Offener Brief von Verbänden der deutschen Agrar-, Gartenbau- sowie Ernährungs- und Bioökonomiewirtschaft

Bildquelle: Aleksandr Rybalko/Shutterstock.com

Die Landwirtschaft in Deutschland und Europa steht unter enormem Transformationsdruck. Dabei fehlen geeignete Rahmenbedingungen, um den nachvollziehbaren gesellschaftlichen und politischen Anforderungen zu mehr Nachhaltigkeit gerecht zu werden und gleichzeitig wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu sein. Die anhaltenden Branchenproteste sind Folge dieser systemischen Schwäche. Angesichts der angespannten Haushaltslage gibt es aber kaum finanziellen Spielraum für große Entlastungspakete. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Politik trotzdem nach effizienten Lösungen sucht, um die Transformation der Landwirtschaft voranzutreiben.

Um langfristig zukunftsfähig zu sein, ist die Landwirtschaft auf Innovationen angewiesen – auch und gerade im Bereich der Pflanzenzüchtung. Neue genomische Techniken (NGT) wie die Genschere CRISPR/Cas ergänzen den Werkzeugkasten in der Züchtung und eröffnen zusätzliche Möglichkeiten zur Entwicklung widerstandsfähiger Pflanzen für eine effiziente und nachhaltige Landwirtschaft. Die Anwendung der Methoden und so gezüchteter Pflanzen durch eine Vielzahl an Unternehmen muss durch geeignete Rahmenbedingungen sichergestellt werden.  

Weltweit werden NGT-Produkte zunehmend wie herkömmlich gezüchtete Pflanzen behandelt und reguliert. Dementsprechend befinden sich bereits NGT-Produkte vor der Marktreife und werden perspektivisch auch den EU-Markt erreichen. Die ausstehende Modernisierung des europäischen Rechtsrahmens für NGT ist auch eine Herausforderung für den internationalen Handel. Hier besteht Rechtsunsicherheit wegen fehlender Nachweismethoden für die Mutationsursache. Die Politik muss bei der Aktualisierung des Regelwerks für NGT die Praktikabilität der Maßnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigen. Rechtssicherheit ist wichtig, auch um Verfügbarkeit von agrarischen Rohstoffen zu sichern.

Die EU-Kommission hat im Juli 2023 einen ausgewogenen Regulierungsvorschlag zur Nutzung von NGT in der Pflanzenzüchtung vorgelegt. Dies war ein wichtiger Schritt zur Nutzung dieser Nobelpreis-gekrönten Züchtungsmethode in Europa. Als Agrarbranche setzen wir uns für dessen praxistaugliche Umsetzung ein. Allerdings werden aktuell viele Änderungswünsche diskutiert, die die Praxistauglichkeit des Vorschlags deutlich einschränken. Besonders die geforderte undifferenzierte Kennzeichnungspflicht und Rückverfolgbarkeit für alle NGT-Produkte, auch solche der Kategorie 1, die sich von konventionell gezüchteten Pflanzen nicht unterscheiden, ist nicht nachvollziehbar und widerspricht sowohl dem eigentlichen NGT-Vorschlag der EU-Kommission als auch dem breiten wissenschaftlichen Konsens.

Bevor der aktuelle Gesetzgebungsprozess im Trilog-Format fortgesetzt werden kann, steht eine Positionierung im Rat der EU aus. Deutschland sollte den Prozess konstruktiv begleiten und den Schwung der Europawahl nutzen, um das politische Verfahren zum Abschluss zu bringen. So kann diese Technik zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der Farm-to-Fork-Strategie beitragen. Auch die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) verweist in ihrem neuesten Jahresgutachten darauf, dass das Potenzial von NGT in Deutschland und der EU aufgrund eines nicht zeitgemäßen und inkonsistenten Rechtsrahmens ungenutzt bleibt. 

Wenn Europa sich jetzt nicht bewegt, werden wir Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Schon jetzt verlagern viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen ihre Aktivitäten in Länder, in denen diese Züchtungstechnologie bereits genutzt werden kann.

Unser Appell: Setzen Sie kurzfristig ein Zeichen an die Land- und Ernährungswirtschaft – ohne Extra-Belastungen für den Haushalt – und ermöglichen Sie Innovationen. Setzen Sie sich dafür ein, dass Deutschland den NGT-Vorschlag der EU-Kommission ohne Zeitverzögerung unterstützt. Mit einem deutschen “Ja” wäre die Mehrheit für eine, von der Agrar-, Gartenbau- sowie Ernährungs- und Bioökonomiewirtschaft benötigte, Zukunftstechnologie gesichert.

Wir als Verbändegemeinschaft sowie unsere Mitgliedsunternehmen stehen für den Austausch zu diesem Thema gerne zur Verfügung.

Die Unterzeichner:

  • Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e.V. (BDP)
  • Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA)
  • BIO Deutschland e.V.
  • Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. (BVE)
  • Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse e.V. (BVEO)
  • CIOPORA Deutschland e.V.
  • Der Agrarhandel e.V. (DAH)
  • Deutscher Fruchthandelsverband e.V. (DFHV)
  • Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie e.V. (DIB)
  • Deutscher Raiffeisenverband e.V. (DRV)
  • Deutscher Verband des Großhandels mit Ölen, Fetten und Ölrohstoffen e.V. (Grofor)
  • Deutscher Verband Tiernahrung e.V. (DVT)
  • Industrieverband Agrar e.V. (IVA)
  • OVID Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland e.V. (OVID)
  • Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen e.V. (UFOP)
  • Union der deutschen Kartoffelwirtschaft e.V. (UNIKA)
  • Wirtschaftliche Vereinigung Zucker e.V. (WVZ)
  • Verband der deutschen Fruchtsaft-Industrie e.V. (VdF)
  • Verein der Zuckerindustrie e.V. (VdZ)
  • Zentralverband Gartenbau e.V. (ZVG)